Gunnar Zötl, 09.07.1993

Die Geschichte vom rotgoldenen Drachen und dem Ritter

Es begab sich zu einer Zeit, als es noch kein IRC gab, kein Internet, keine Computer, und noch nicht einmal mechanische Schreibmaschinen. Dafür es gab Jungfrauen, mehr oder minder hold, Königreiche, mehr oder minder groß, und natürlich Drachen.

In einem der oben erwähnten Königreiche lebte eine der oben erwähnten Jungfrauen, welche etwa so hold war wie Bo Derek als Jungfrau gewesen wäre, und vertrieb sich die Zeit damit, die Tochter des dort ansässigen Königs zu sein. In dem Königreich lebte auch noch ein Drache, zumindest wurde das von nicht wenigen Bewohnern behauptet, obwohl keiner von sich selbst behaupten konnte, den Drachen jemals mit eigenen Augen gesehen zu haben. Dafür konnte man von Zeit zu Zeit die Spuren seiner Heimsuchungen erblicken, und seit einigen Jahren hatte dies zugenommen. Und Jedermann (natürlich auch jede Frau, selbst die Kinder) im Königreich wusste, wo man diesen gar schrecklichen Drachen finden konnte, wenn man es denn darauf anlegte.

Der König dieses Reiches, im vollen Bewusstsein seiner Verantwortung für seine Untertanen, ließ eines Tages im ganzen Königreich und in den benachbarten verkünden, dass derjenige Ritter, der den Drachen zur Strecke bringe, seine Tochter zur Frau und einen Teil seines Königreiches dafür haben könne.

Natürlich war aber das Wissen um die Schröcklichkeit des Drachen schon bis in sämtliche Nachbarreiche vorgedrungen, sodass sich lange Zeit niemand meldete. Eines Tages jedoch, etwa um die Zeit, als der König gerade seinen Nachmittagstee zu sich genommen hatte, und sich etwas Zeit nahm, um über die neueste Erfindung seines Hofschmiedes nachzudenken (dieser, der Schmied nämlich, nannte es eine “Schreibmaschine”, ein klobiges Gerät mit vielen Tasten, denen der König, da er selbst nicht lesen konnte, keine Bedeutung zuzuordnen vermochte, und das mit einem großen Hammer bedient werden musste), klopfte es am Schlosstor, und draußen saß ein Ritter in silbriger Rüstung auf einem schwarzen Pferd.

Die Wachen fanden zwar, dass der Ritter mit seiner Feder am Helm ein wenig lächerlich aussähe; als dieser jedoch erwähnte, dass er vorhabe, sich mit dem Drachen zu messen, informierten sie sofort den König, welcher gerade beschlossen hatte, die Hoffnung aufzugeben, dass sich noch jemand auf seine Anzeige melden mochte. Der König sprang aus seinem Sitz, und befahl, den Fremden sofort einzulassen, was dann auch getan wurde. Er selbst bemühte sich in den Hof, um zu sehen, wer das Wagnis auf sich nehmen wolle.

Als der König im Hof ankam, hatte man den fremden Ritter bereits ein- und vom Pferd herabgelassen, und dieser ging dem König gemessenen Schrittes entgegen. Eine eigentlich ehrfurchtgebietende Erscheinung, groß, und mit dieser silbrig glänzenden Rüstung, wenn nur nicht diese lächerliche Feder an seinem Helm wäre, so dachte der König als er den Ritter sah. Der Ritter jedoch, als er in angemessener Entfernung vom König angehalten und sich unter großen Problemen hingekniet hatte, trug sein Ansinnen ohne Umschweife vor, und der König beschloss, dass es wohl einen Versuch wert sei. Schließlich hatte sich kein anderer Bewerber gemeldet.

Die Tochter des Königs aber, die die Ankunft des Ritters von ihrem Balkon aus verfolgt, fiel bei dem Gedanken, den Träger dieser Feder womöglich heiraten zu müssen, fast in Ohnmacht.

Am Abend dieses Tages fand ein Bankett zu Ehren des wagemutigen Fremden statt, zu welchem dieser seine Rüstung gegen eine dieser unmöglichen Pluderhosen samt dazugehöriger Garderobe, wie man sie heute nur noch aus diesen schlechten Ritterfilmen von MGM kennt, eingetauscht hatte. Die Feder trug er allerdings immer noch, und zwar an seiner Mütze. Die Prinzessin jedoch nahm nicht am Bankett teil; sie war unpässlich, wie es sich für eine Jungfrau in dieser Situation gehörte.

Während des Banketts verhandelte der König und seine Berater mit dem Ritter über die Bezahlung für diesen gefahrvollen Auftrag, und nach kurzer Verhandlung einigte man sich darauf, dass sowohl die Tochter des Königs und alle damit einhergehenden Privilegien, als auch der Teil des Königreiches, in dem der Berg stand, in dem der bis dahin wohl erschlagene Drache hauste, drin sein müsse, damit es sich lohne, das Risiko einzugehen.

Der Ritter schlug also ein, der König ihm fast nichts aus, und schon am nächsten Tage ging es los. Der Ritter legte wieder seine Konserve an, ließ aber auf Anraten des Königs die Feder weg, da diese, so sagte wenigstens der König, doch ein wenig zu auffällig sei.

Der Berg war weiter weg, als der Ritter angenommen hatte, und in der Nacht rächte es sich, dass diese praktischen, weil schnell aufzuschlagenden Igluzelte noch nicht erfunden worden waren. Der Ritter konnte sein Pferd nicht allein verlassen, musste also zum schlafen mitsamt seinem Pferd an einem Baum lehnen, damit sie beide während der Nacht nicht umfielen. Und in der Mitte der Nacht, also um Mitternacht, fing es an zu regnen.

Als der Regen aufhörte, war der Ritter unter seiner Rüstung völlig durchnässt, und das Pferd ein wenig eingesunken, aber irgendwie schafften es beide doch, am nächsten Morgen weiterzukommen. Gegen Nachmittag dieses Tages erreichten beide die Drachenhöhle.

Die Höhle war erwartungsgemäß gar finster, und von drinnen hörte er ein grausiges Grollen und Knurren. In der Höhle saß der Drache, der eine schreckliche Erkältung hatte, weil er am Abend zuvor ohne seine Gummistiefel draußen gewesen war, in der heißen Quelle, die er als seine Badewanne benutzte, und fluchte und nieste vor sich hin. Der Drache wäre eine imposante Erscheinung gewesen, mit seinen fast 17 Metern Länge (ohne Schwanz) und seinen rotgolden schimmernden Schuppen und seinem mächtigen Kopf, wenn nicht seine Nase vom vielem Abwischen schon ganz rot gewesen wäre, und er nicht so kläglich aus der Wäsche geschaut hätte. Aber ansonsten war er ein richtiger Drache, schrecklich furchteinflößend, mit großen Zähnen und einer gespaltenen Zunge, mit der er jedoch, entgegen dem, was man vermuten sollte, zumeist die Wahrheit sprach.

Zurück zum Ritter: dieser sammelte zunächst all seinen Mut, bevor er es wagte, und in die Höhle trat. Es war dunkel, so dunkel, dass er nicht einmal die Innenseite seines Helms mehr sehen konnte, und er hatte keine Fackel dabei. Er suchte seinen Weg, indem er mit seiner Blechhandschuhbewehrten Hand immer an der Wand entlangklöpfelte, bis er vor sich schließlich Licht sah.

Der Gang, durch den er geklötert war, öffnete sich in eine riesige Höhle, die, obwohl er keine Fackeln oder ähnliches sah, hell erleuchtet war. Noch immer hörte er dieses Grollen und Knurren, und es schien aus dem Gang auf der anderen Seite der Höhle zu kommen. Mutig schlich er, so gut es in seinem Anzug halt ging, durch diese riesige Höhle, und sah sich dabei um. Das Licht, das den Raum erhellte, schien von einem seltsamen Gebilde aus einer Ecke der Höhle zu kommen, welches etwa 7 Meter hoch war, und oben drauf so etwas wie einen leuchtenden Hut hatte. Von diesem Gebilde ging eine Schnur weg zu einem Loch in der Wand, worin sie verschwand. Ansonsten war die Höhle völlig normal eingerichtet, es gab einen Sessel, ein Sofa, ein Bett, Tisch, Schränke, usw. usw., und vor dem Loch, aus dem das Grollen kam, lag etwas, das in Schätzungsweise 600 Jahren unter der Bezeichnung Badematte Einzug in fast alle Häuser halten würde. Er ging weiter, dorthin, wo er das Ungetüm vermutete, und schritt schließlich heraus aus dem Licht, in die erneute Finsternis dieses zweiten Ganges hinein.

Der Drache saß in seiner Badewanne, und schimpfte immer noch vor sich hin, als er es aus der Richtung seiner Wohnhöhle metallisch scheppern hörte. Da er sich wirklich nicht in der Verfassung für irgendwelche blöden Kämpfe mit mindestens ebenso blöden Rittern fühlte, beschloss er, in seiner Wanne sitzenzubleiben, um abzuwarten, was passieren würde. Und wenig später hörte er, wie sich dieses Gescheppere weiter auf ihn zu bewegte.

Der Ritter mühte sich durch den nächsten dunklen Gang, und während er sich den Weg ertastete, bemerkte er, dass das Grollen und Knurren einem leisen Schnaufen gewichen war. Seine Anspannung erreichte den Höhepunkt, als sich der Gang in eine weitere, allerdings recht schlecht erleuchtete Höhle öffnete, in der sich außer ihm offensichtlich auch der Schnaufer befand. Der Ritter sah sich angestrengt um, und endlich sah er, etwa in der Mitte der Höhle, etwas, das sich bewegte, und das er für den Drachen hielt. Tapfer schritt er darauf zu, sein Schwert vor sich haltend.

Der Drache in seiner Wanne sah den Ritter sofort, als dieser sein Bad betrat, und fühlte sich in seiner Vorahnung bestätigt. Der Ritter sah sich um, und als er, das Schwert vor sich herschiebend, auf den Drachen zukam, verspürte dieser ein heftiges Kribbeln in der Nase, und bevor er sich versah, entfuhr ihm ein gewaltiger Nieser, und noch einer, und dann noch ein weiterer. Der Ritter wurde von den Niesern des Drachen erfasst, und wieder in die Höhle zurückgeschleudert, aus der er grad gekommen war. “Entschuldigung”, brummelte der Drache.

Der Ritter dachte zunächst, er höre nicht richtig. Hatte dieser Lindwurm sich wirklich für seinen heimtückischen Angriff entschuldigt? Er brauchte recht lange, bevor er wieder auf seinen Füßen stand, die Rüstung war doch recht unhandlich, aber als er wieder beide Beine auf der Erde und sein Schwert in der Hand hatte, startete er sofort einen erneuten, verwegenen Angriff.

Der Drache wartete darauf, was nun geschehen würde, da er aus dem Gang ein recht interessantes Klötern und Scheppern vernommen hatte. Nach recht kurzer Zeit kam der Ritter wieder, versuchte, gefährlich auszusehen, als er auf den Drachen zuschritt, und als er den Abstand zwischen dem Eingang und der Wanne zur Hälfte durchquert hatte, blieb er stehen und rief: “Stell Dich zum Kampf, Elender”.

Der Drache verdrehte die Augen. Musste dieser Blechclown ausgerechnet heute kommen, wo er doch so erkältet war? Als er dies dachte, spürte er wieder ein Kribbeln in der Nase, doch diesmal gelang es ihm, den Nieser zu unterdrücken, und statt des kräftigen “Hatschi” erklang ein gedämpftes “Hrmpf”. Und da kam dem Drachen eine Idee.

Als er den Drachen wieder grollen hörte, rutschte unserem Ritter fast das Herz in die Dose, aber er blieb standhaft, und rührte sich nicht von der Stelle. “Sag dem König, er kann seine Göre behalten”, sprach der Drache plötzlich, und klang dabei leicht verschnupft. Dem Ritter fiel vor Erstaunen fast das Schwert aus der Hand.

“Was war das?”, fragte er, und vergaß fast völlig, dass er dieses elende Geschöpf eigentlich vor seinen Schöpfer führen wollte.

“Vergiss es”, sagte der Drache, “ich werde dieses Weib nicht entführen. Ich habe keine Lust. Ich habe fast 35 Jahre gebraucht, um mich von der letzten Prinzessin zu erholen, und ich sehe nicht, wo diese besser sein soll!”. Dem Ritter klappte der Mund auf, und sein Unterkiefer schlug leicht gegen die Helminnenseite. “Du kannst also genausogut wieder gehen.”, sagte der Drache, und stützte seine Ellenbogen auf den Rand seiner Wanne, und seinen mächtigen Kopf auf die Vorderpranken.

Der Ritter verstand gar nichts von dem, was der Drache da sagte. Er stand herum und sah den Drachen entgeistert an. Der Drache seinerseits, der die Verwirrung des Ritters bemerkte, sah diesen begeistert an. Neben dem Schnupfen saß ihm nun auch der Schalk im Nacken, und so fuhr er fort: “Ich weiß, dass er seinen Antrag schon vor sieben Jahren abgegeben hat, aber ich habe ihm damals schon gesagt, dass mein Terminkalender voll ist.”

“Aber…”, stammelte der Ritter, “ich bin eigentlich nicht deswegen gekommen…”. “Nimm doch mal diese Tüte ab”, sagte der Drache, und mit einem Augenzwinkern verwandelte er das Blech des Helms in grüne, glibberige Waldmeistergötterspeise, die auch sofort anfing, vom Kopf herunter und in die Rüstung zu laufen, wo sie sich mit dem Resten des Regenwassers der letzten Nacht vermischte. “Ich sehe halt gern, mit weh- he- he…”, und wieder nieste der Drache, und die Reste des Helms, die noch nicht in der Rüstung klebten, wurden vom Kopf des Ritters an die Wand hinter ihm geschleudert, wo sie sofort wieder mit dem herunterlaufen anfingen. “… mit wem ich rede.”, vollendete der Drache seinen Satz, und sah hinunter zu dem Ritter, der sich, während er starr auf dem Drachen blickte, überlegte, dass dies wahrscheinlich der passende Moment sei, um entweder in Ohnmacht zu fallen, oder sich aus der Zeitung vom Vortag einen Hut zu falten, den aufzusetzen, und auf allen Vieren in einem Schweinestall herumzuspringen.

Der Drache grinste in sich hinein. “Sind sie eigentlich angemeldet?” fragte er den Ritter. Das war zuviel. Dem Ritter wurde schwarz vor dem Augen, und mit einem lauten Scheppern fiel er rücklings um und blieb liegen.

Irgendwie tat ihm der Ritter schon leid, und so stieg der Drache aus der Wanne, schüttelte das Wasser ab, wobei er noch einmal heftig nieste, klemmte sich dann den Ritter unter einen Arm und trug ihn in seine Wohnhöhle, wo er ihn auf den Sessel bettete. Das Schwert legte er neben den Ritter. Der Drache selbst schlurfte noch einmal mit einem großen Becher zurück zu seiner Badehöhle, ging um die Badequelle herum zu einer kleineren Quelle, wo er sich die Tasse mit heißem, gut geschwefeltem Schlamm füllte. Dann ging er zurück, und flezte sich auf das Sofa, wo er den Schlamm trank und darauf wartete, dass der Ritter wieder zu sich kam.

Als der Ritter erwachte, wähnte er sich zunächst auf seinem Pferd, an einen Baum gelehnt, und frisch aus einem schlechten Traum erwacht, bis er bemerkte, dass seine Schlafposition nicht zu dieser Annahme passte. Er öffnete die Augen, und sah, dass er sich in einer Höhle befand, die recht hoch war, und offensichtlich einen gepolsterten Boden hatte. Da er sich nicht erinnern konnte, dass in seinem Traum eine solche Höhle vorgekommen war, sah er sich ein wenig um, und als er den Blick nach links wendete, sah er den Drachen, welcher ihn friedlich angrinste, und in seiner linken Klaue einen Becher hielt.

“Gehts?”, fragte der Drache. Der Ritter war sofort wach, sprang auf die Füße, was auf dem Sessel wegen der Federung und dem Gewicht seiner verbliebenen Rüstung nicht so einfach war, und sah sich auch gleich nach seinem Schwert um. Dieses fand er, indem er darauf trat, während er versuchte, auf dem wackligen Boden im Gleichgewicht zu bleiben, und griff sofort danach, was zur Folge hatte, dass er zwar das Schwert bekam, dafür aber das Gleichgewicht verlor, und vom Sessel auf den Boden purzelte, wo er einen Augenblick benommen liegenblieb.

Der Drache sah amüsiert zu, wie der Ritter sich langsam und unter einigem Ächzen erhob, um sich dann in Angriffsposition vor dem Drachen zu postieren. “Jetzt stirbst Du, Wurm, ob Du willst oder nicht!”, brüllte der Ritter und rannte einen geradezu bilderbuchmäßigen Angriff. “Danke”, sagte der Drache, und nahm dem Ritter mit einer schnellen Bewegung den hölzernen Zahnstocher im Drachenformat aus der Hand, den dieser seit dem letzten Augenzwinkern des Drachen anstelle des Schwertes in der Hand hielt. Sofort fing er dann auch an, sich damit in den Zähnen herumzustochern, während der Ritter wie vom Donner gerührt stehenblieb und auf seine leeren Hände starrte, und “Das ist nicht fair”, stöhnte.

“Also”, fragte der Drache, “warum willst Du mich denn töten?”.

“Weil es Tradition ist”, antwortete der Ritter, und versuchte zu überlegen, wie er sich hier nun möglichst ehrenvoll herauswinden könne.

“So”, sagte der Drache, “weißt Du denn nicht, dass ich als der letzte lebende Drache in diesem Königreich unter Naturschutz stehe?”

“Naturschutz? Was ist denn das?”, fragte der Ritter perplex, und der Drache verdrehte wieder die Augen. “Also, das ist so:”, sagte der Drache geduldig, “wenn Du mich tötest, dann wird der König Dich in den Kerker werfen lassen müssen, weil er sonst Ärger mit dem Tierschutzverein bekommt.”

Der Ritter fühlte sich, als wäre sein Kopf mit Watte ausgestopft. Was war denn das nun wieder? Warum, so fragte er sich, sollte der König ihn hergeschickt haben, wenn dies wahr wäre? Der Drache versuchte derweil, möglichst unschuldig zu lächeln, was bei seinem Gebiss jedoch kein leichtes Unterfangen war.

“A propos Tradition, wie genau soll das eigentlich aussehen?”, bemerkte der Drache, als der Ritter eben schwer am Überlegen war, was nun zu tun sei. “Naja”, sagte der Ritter, “das ist so: wenn ich Dich töte, bekomme ich die Prinzessin und Deinen Berg. Das war schon seit Alters her so, dass Drachen von Rittern erschlagen wurden”.

“War es das? Ich persönlich kenne keinen Drachen, der erschlagen wurde. Die meisten sind an Langeweile gestorben. Und dann der Eine, der sich in seinem Badesee ertränkt hat, nachdem ihn die Prinzessin, die er entführt hatte, durch ihr ständiges Gequengele 7 Nächte hintereinander um den Schlaf gebracht hatte.” bemerkte der Drache, und wurde nachdenklich. “Hatten diese Ritter sich eigentlich alle vorher angemeldet?” fragte er.

Der Ritter fing an, herumzutoben. “Hör mit Deinen Anmeldungen auf!”, schrie er den Drachen an, welcher sich daraufhin ein wenig hinter das Sofa beugte, damit der Ritter nicht sehen konnte, dass er mühevoll ein Lachen unterdrückte. Der Drache griff in eine nahestehende Kommode und zog eine große Steinplatte hervor. “Mein Terminkalender”, stellte er sie vor, und der Ritter wurde blass. “Lass mich einmal schauen, hmmm…” brummelte der Drache, “in diesem Jahrhundert sieht es schlecht aus. Wie wäre es in 74 Jahren? Da habe ich noch Luft.”

“Aber in 74 Jahren lebe ich doch gar nicht mehr”, jammerte der Ritter.

“Tja”, bemerkte der Drache, “das ist ja dann wohl Dein Problem. Aber ich habe eine Idee.”

“Ja?”, fragte der Ritter hoffnungsvoll.

“Nun, ich hätte übernächstes Jahr etwa 2 Monate, die ich freimachen könnte, vorausgesetzt, dass Du mir da einen Behördengang abnimmst. Glaubst Du, dass das geht?”, fragte der Drache den Ritter, dessen Augen vor dem Wort “Behörde” noch ein wenig hoffnungsvoll leuchteten, und dessen Gesicht danach in sich zusammenfiel.

“Ich weiß nicht recht”, sagte er leise, “ob ich das kann… ich war noch nie bei einer Behörde, außer beim TÜV, wegen der Rüstung.”

“Aber aber, so ein mutiger Ritter wie Du wird doch keine Angst vor einem Pferd haben! Immerhin hast Du Dich an einen echten Drachen herangetraut!”, bemerkte der Drache schnell, und sofort glomm der Funke der Hoffnung im Auge des Ritters wieder auf. “Pferd?”, fragte er, und der Drache antwortete “Ja, es heißt doch der Amtsschimmel!”

“Oh ja”, freute sich der Ritter, “mit einem Pferd werde ich fertig. Und dann darf ich wiederkommen und Dich töten?”, fragte er hoffnungsvoll.

“Ich werde es in meinem Terminkalender eintragen. So, und nun zu dem, was Du dann für mich erledigen musst: Ich will meine Höhle erweitern, und brauche dazu eine Baugenehmigung.” Der Drache ließ sich darüber aus, dass er einen Antrag darauf schon vor Jahren abgeschickt habe, aber noch einmal jemand deswegen persönlich hinmüsse, um noch ein paar Kleinigkeiten zu klären. Natürlich erzählte er dem Ritter diese Kleinigkeiten, und immer noch den Gedanken an das Pferd im Hinterkopf, stimmte der Ritter zu. Das war natürlich die beste Lösung, erst den Amtsschimmel besiegen, vor dem die ganze Welt Angst hatte, und dann noch einen Drachen erschlagen, so würde er Eingang in die Geschichtsbücher finden, und man würde noch über seine Heldentaten berichten, wenn es schon lange keine Königreiche oder Jungfrauen, dafür aber mechanische Schreibmaschinen, Computer, das Internet und IRC geben würde.

Also zog er los, und so kam es dann, dass der Ritter sich mit dem Amtsschimmel anlegte, und letztlich daran scheiterte, dass sein Schwert, welches der Drache ihm für diese Aufgabe zurückgegeben hatte, keine ZZF Zulassung hatte, woraufhin er für 74 Jahre eingekerkert wurde. Der König und seine Tochter warten möglicherweise heute noch auf die Rückkehr des Ritters, wenn sie nicht zwischenzeitlich gestorben sind.

Der Drache aber, welcher eigentlich gedacht hatte, dass der Ritter bereits wirr war, als er von Computern und solchem Zeug sprach, stellte 600 Jahre später fest, dass es wohl eher die letzten klaren Worte des Ritters waren, sozusagen ein kurzer prophetischer Moment. Er besorgte sich also (in dieser Reihenfolge) eine Nicht-Jungfau, einen Computer, und einen Internetanschluss, und ist heute von Zeit zu Zeit mal auf IRC zu sehen.

Diese Kurzgeschichte ist veröffentlicht unter den Bedingungen der CC BY 4.0